Ent-täuscht: Was ich beim Marathonlauf über mich und New Work gelernt habe

Noch ein paar Momente bis zum Start meines dritten Marathons. Rotterdam ist bereit: mit Sonne, 15 Grad und fast einer Million Menschen an der Strecke. Die Erasmusbrücke liegt vor uns. Leer, denn wir stehen in der ersten Reihe unserer Startwelle. Ein unglaubliches Gefühl. Mein Laufkollege und ich drücken uns und sagen „Alles ist gut, wir sind bestens vorbereitet, wir sehen uns im Ziel“. Voller Gänsehaut und Tränen in den Augen laufe ich los, gepusht von lauter Musik und einem unglaublichen Publikum. Ich fühle mich super. Das wird der Lauf meines Lebens – ich merke es! Er wird es – doch ganz anders als ich dachte. Ein sehr persönlicher Erfahrungsbericht.

Erasmusbruecke

Es läuft! An mir selbst vorbei …

Die ersten Kilometer sind super. Keine nervösen, körperlichen Zipperlein. Voller Selbstvertrauen bin ich optimistisch unterwegs und „fliege“ die ersten sieben Kilometer mit dem Tempo, was ich mir für einen idealen Tag berechnet habe. Dann schaffe ich es, Tempo zu reduzieren. Bis Kilometer 20 läuft alles nach Plan. 

ankevonplaten rotterdam 1

Danach hat anscheinend der Mann mit dem Hammer zugeschlagen. Von einem Moment auf den Anderen ist die Kraft weg. Ab Kilometer 25 gehe ich zwei Kilometer, fühle mich benommen und komisch. Ich denke ans Aussteigen. Nach 20 Minuten geht es mir wieder deutlich besser. Sämtliche Gedanken an eine Bestzeit habe ich verworfen und den Marathon für mich als Training und Sightseeingtour abgehakt. Ich erinnere mich an mein Mindestziel: Die Stimmung mitnehmen, an der Laufparty teilnehmen, mit einem Lächeln ins Ziel kommen. So genieße ich zwischen Gehen und Laufen die ausgelassene Stimmung, tanze tatsächlich, weil die Musik so cool ist. Mir werden Gummibären, Lakritze und vieles mehr gereicht. Mein Name wird ständig gerufen. Die Rotterdammer jubeln jedem Läufer bedingungslos zu – wirklich grandios! Noch dazu die vielen Techno-Djs an der Strecke – es war ein verdammt guter Tag für einen schlechten Tag.

Im Ziel und doch am Anfang

Ja, und irgendwie habe ich es dann tatsächlich ins Ziel geschafft, mit einem inneren (okay ja verkrampften) Lächeln. Ich war einfach nur froh, dass ich es geschafft hatte und es vorbei war. Danach war ich für ein paar Tage zwischen den Welten. Einerseits erfüllt von meinem persönlichen Sieg, durchgehalten zu haben. Zutiefst dankbar, gesund im Ziel angekommen zu sein. Und andererseits war ich traurig, dass ich so „schlecht“ gelaufen bin. Wütend auf mich, dass ich anscheinend den Anfängerfehler schlechthin gemacht habe und zu schnell losgelaufen bin und so meine Reserven zu schnell verbraucht waren. Und noch wütender, dass ich mich so ärgere und mich selbst fertig mache. Denn hey: es ist nur ein Lauf.

Mit ein paar Tagen Abstand nehmen die positiven Erinnerungen an den Marathon zu. Immer mehr kommt eine Frage in den Vordergrund, die ich mir tatsächlich auch während meines Lauf-Spaziergangs gestellt habe: Was ist wirklich wirklich wichtig? Ist es eine neue Bestzeit? Nein. Wirklich wirklich wichtig ist die Tatsache, dass ich mich gesund an die Startlinie stellen konnte. Dass ich mich der Herausforderung gestellt habe. Dass ich auf meinen Körper gehört habe und langsamer gemacht habe. Und natürlich: dass ich gesund im Ziel angekommen bin.

endlich im Ziel AnkevonPlaten

Ent-täuscht und sehr klar

Ja, ich habe mich täuschen lassen …

• … von der Euphorie, in einem großen Event mit 17.000 anderen mitzulaufen – dabei liebe ich die einsamen Läufe in der Natur.

• … von der eigenen Überzeugung, dass ich nur erfolgreich bin, wenn ich Bestzeit laufe – in Rotterdam habe ich wirklich verstanden und gespürt, dass nur Zahlen und Bestleistungen nicht zählen. 

• … von meiner sehr guten Vorbereitung und den Prognosen auf dem Papier – die beste Vorbereitung nützt nichts. Das Leben verläuft nicht linear und ist nicht planbar, also kann ich mich mal entspannen und gleichzeitig dankbar für jeden Schritt, jede Erfahrung sein.

Nun bin ich im besten Sinne ent-täuscht. Es scheint, dass ich nach diesem Erlebnis immer klarer werde, was mir wirklich wirklich wichtig ist – nicht nur beim Laufen, sondern auch im Leben inklusive meinem Arbeitsleben. Schon jetzt mache ich mir weniger inneren Druck und lasse mich mehr auf den Fluss des Lebens und Prozesse ein. Ich spüre, dass das keine Eintagsfliege ist, sondern um es mit der Marathonlegende Emil Zatopek zu sagen: 

“Wenn Du laufen willst, lauf eine Meile. Wenn Du Dein Leben verändern willst, lauf einen Marathon.” 

Bisher hatte ich diese Worte auf die Vorbereitung bezogen. Jetzt habe ich die Erfahrung machen dürfen, dass der Marathonlauf an sich etwas mit mir gemacht hat.

Was hat das jetzt mit New Work zu tun?

Um das Buzzword ‚New Work’ herrscht eine noch größere Euphorie als um einen Marathon. Es ist allgegenwärtiger. Sehr viele wollen mitrennen und kaufen sich neue Turnschuhe, Trainingspläne mit Scrum und agilen Methoden. Doch worum geht es bei New Work wirklich? Das wurde mir erst klar, als ich einen Podcast mit dem Urvater der New Work Bewegung Frithjof Bergmann* vor einiger Zeit hörte. New Work im ursprünglichsten gemeinten Sinne meint, dass wir uns durch den technischen Fortschritt die Arbeit leichter machen können. Die freigewordene Zeit könnte durch die Arbeitnehmer genutzt werden, sich mit anderen Themen zu beschäftigen, die dem Menschen wirklich wirklich wichtig sind. Die Kernfrage von Frithjof Bergmann ist „Was willst Du wirklich wirklich machen?“

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Mir scheint, dass nur in wenigen Unternehmen diese Frage gefragt wird – weder auf individueller, noch auf Team- oder Organisationsebene. Statt Antworten zu finden auf „Was wollen wir wirklich wirklich verändern, worum geht es wirklich wirklich?“ rennen alle los, um dann nach bildlichen zehn Kilometern festzustellen, dass die Puste ausgeht und das Ziel nicht klar ist oder in Frage gestellt wird. Besser wäre es, sich grundlegend zu fragen „Macht New Work für uns Sinn? oder meinen wir, dass wir mitmachen müssen? Welches Tempo ist für uns, unsere Organisation gut? Welchem Bild rennen wir hinterher?” Allein die Beantwortung dieser Fragen dauert Zeit. Viel Zeit. 

Ich habe für mich festgestellt, dass ich mich beim Mitlaufen in Rotterdam verausgabt habe. Statt konsequent mein Ding, meinen Rhythmus zu laufen. Darauf werde ich nun achten – beim Laufen und beim Leben. 

Ich hoffe, dass wir bei aller Euphorie um das Neue in der Arbeitswelt ruhig bleiben. Abstand behalten. Und dass wir mutig bleiben, um kurz innezuhalten und uns und die Menschen um uns herum fragen

„Was ist wirklich wirklich wichtig? Worum geht es wirklich wirklich?“

Ich wünsche Dir für Deinen Lebens-Lauf nur das Beste. Und wenn es mal nicht so läuft wie Du Dir das wünscht, wünsche ich Dir zwei Dinge: Geduld und Entschlossenheit*. Sei geduldig mit Dir und Deinen Mitmenschen und bleib entschlossen auf Deinem Weg.

Was ist Dein persönliches Marathonprojekt? Wo lief es mal nicht nach Plan und was Du daraus gelernt? Ich freue mich auf Deine Kommentare und natürlich auch, wenn Du diesen Artikel über Deine sozialen Netzwerke verbreitest. Danke! 

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Für die Laufinteressierten unter Euch: Die ersten 7 km bin ich in einer Geschwindigkeit von 5:15 min/km gelaufen. Geplant hatte ich ca. 5:20 … also war ich vermutlich deutlich zu schnell. Danach reduzierte ich auf 5:23. Die Halbmarathonmarke passierte ich bei 1h:54. Danach wechselten sich Gehpausen mit Laufphasen ab. Nach 4h:19 war ich im Ziel. An sich wäre eine Zeit zw. 3:45-3:50 sehr realistisch gewesen. Jede Sekunde, die Du im Marathon am Anfang zu schnell bist, verlierst Du zum Schluss als Minute. Das passt.

Wer Städtemarathons mag, sollte einmal Rotterdam laufen. Top Organisation, eine schöne Strecke mit noch besserer Stimmung! Das, was in Hannover die letzten 500 m stimmungsmäßig sind, sind in Rotterdam mindestens die letzten 15 Kilometer. Mehr Gänsehaut geht glaube ich nicht!

 

*Quellen:

• Podcast mit Frithjof Bergmann ist Folge 100 bei https://www.onthewaytonewwork.com

• „Geduld und Entschlossenheit“ – diese zwei Aspekte finde ich sehr passend – aus “The Mindful Runner” von Gary Dudney

* Fotos: private Bilder aus Rotterdam und NN Rotterdam Marathon

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