Führung und Zusammenarbeit: Die Kraft eines Teams mit klarer Haltung – ein Erlebnisbericht 

Dies ist der letzte Erfahrungsbericht meiner diesjährigen USA-Reise. An sich ging es ja nur noch darum, nach Hause zu kommen. Doch es wurde noch einmal richtig aufregend. Zugleich möchte ich diese Erfahrung nicht missen. Denn ich denke nun noch viel positiver über Zusammenarbeit und wieso es smarter ist, nicht nur alleine zu denken sondern Aufgaben, Projekte und Veränderungen co-kreativ in einer Gemeinschaft anzugehen. 

„Nur noch einmal von London nach Hannover fliegen, dann sind wir zu Hause.“ Sage ich zu meinem Mann als wir in London endlich durch den letzten Security-Check durch sind und zum Gate gehen wollen. „Noch sind wir nicht da. Ich sage das erst, wenn wir im Flugzeug sitzen.“ ist Christians Antwort. Nach knapp sechs Wochen USA und einem Langstreckenflug sind wir erschöpft und wollen einfach nur ankommen. Ein kurzer Blick auf die Anzeigentafel zu welchem Gate wir müssen. Und auf einmal steht da das Wort „cancelled“. Unser Flug nach Hannover ist gestrichen, wie viele andere Flüge nach Deutschland und nach Festland-Europa. In den nächsten Minuten wird uns deutlich: der Flughafen, das Personal von British Airways und viele Menschen sind überfordert. „Wenn wir Glück haben, bekommen wir ein Hotel. An sich habe ich die Erfahrung gemacht, dass sie gar nicht unterstützen und uns einfach nur loswerden wollen.“ höre ich in einer Schlange von einem Mit-Betroffenen. 

In dem Moment läuft ein mir bekannter Unbekannter, ich hatte in einer der vorherigen Warteschlangen gesehen, dass er auch nach Hannover fliegt, an uns mit einer Frau (Josefine) vorbei. „Der muss doch auch nach Hannover, vielleicht weiß er schon mehr …“ sage ich zu Christian. Worauf er mich mit den Worten zu ihm schupst: „Du sprichst ihn jetzt an und fragst ihn“. 

Wir hören von ihm: „Hier läuft nichts mehr, es wird die nächsten Tage gestreikt. British Airways hat uns einen Zettel in die Hand gedrückt mit den Worten, dass mindestens eine Woche kein Flug gehen wird und wir uns selbst kümmern müssen. Wir wollen uns jetzt einen Mietwagen nehmen und fahren.“ 

Gemeinsam ist man weniger allein: Teambildung aus dem Bauch heraus

Christian und ich schauen uns an, nicken uns zu: „Wäre es okay, wenn wir mitkommen und das zu viert machen?“ „Klar, kommt mit“ Und so machen wir uns zu viert auf dem Weg zu den Autovermietern. Während wir im Eilschritt durch den Flughafen gehen, lassen wir von Familie und Freunden im Hintergrund checken, ob es nicht doch Alternativflüge nach Deutschland oder eine Zugverbindung von London nach Paris gibt. Nein. Alles ist für die nächsten Tage ausgebucht. Ein Mietwagen scheint die einzige Chance zu sein. Wir verlassen den Flughafen – ohne unsere Koffer und so halb ohne Erlaubnis (die Geschichte lassen wir mal) und kommen im Mietwagenbereich an. Es ist zwar kein Personal da, aber Telefone, die uns direkt mit den Zentralen verbinden. Auf unsere Anfrage „Ein Auto, one-way nach Deutschland“ hören wir entweder „fully booked“ oder „to Germany, one way? No chance.“ Ahhhhh – ja: Rechtslenker und ja, Brexit – da war was. 

Situativ und Schritt für Schritt

Was also tun? Wir entscheiden kollektiv, dass wir nun als erstes nach Dover kommen müssen. Von da wird es schon irgendwie eine Fähre geben, die uns auf’s Festland befördert und dann sehen wir weiter. Das Ziel war für uns alle klar: möglichst rasch über den Kanal und nach Hause. Andreas und wir wollten nicht auf unbestimmte Zeit in London sein. Josefine hat berufliche und private Termine, bei denen sie anwesend sein muss und möchte. 

Was nun, wie kann das gelingen? „Lass uns zu einem Flughafenhotel gehen, die kennen sich eher damit aus und haben Connections.“ schlug Josefine vor. Dort werden wir eher wenig willkommen geheißen, schließlich wollten wir nicht übernachten. Dennoch organisiert der Hotelmanager für uns ein Taxi nach Dover, welches wir sofort ohne den Preis zu verhandeln nehmen, denn sämtliche Ubers hatten wieder abgesagt. Auf der Fahrt im Taxi recherchieren wir nach Fähren und buchen eine Überfahrt für 22:00 Uhr. 

Um 21:00 Uhr kommen wir in Dover an und marschieren munter zum Fährterminal. Bis uns der Security-Dienst sehr deutlich ermahnt, dass wir als Fußgänger bestimmt nicht auf die Fähre kommen. Dies ist nur möglich mit einem Auto oder einem Fahrrad. In der Zwischenzeit sehe ich, dass ich nicht wie gedacht eine Fußgängerüberfahrt gebucht hatte, sondern eine mit Auto … Der Security-Mensch versucht uns noch alte Klappfahrräder zu organisieren. Ohne Erfolg. „Nehmt euch ein Hotel, kommt morgen wieder, das ist die einzige Lösung.“ 

Alte, gewohnte Muster und Methoden funktionieren nicht mehr 

Okay denke ich, schlafen erscheint gerade sehr attraktiv und ich bin sowieso die erste, die bei „Verbotenen Dingen“ einen Rückzieher macht. Doch die anderen drei haben noch mehr Energie und geben sich nicht geschlagen. „Wir könnten uns aufteilen und die Autos in der Schlange fragen, ob sie uns mitnehmen.“ oder „Es gibt einen Mitarbeiterbus, da können wir mitfahren.“ Doch wir sehen ein: wieso sollten sie uns mitnehmen, wir sind für sie Fremde und sie müssten mit uns über zwei Grenzkontrollen (England und Frankreich). 

Neue Möglichkeiten entdecken

Um 21:40 Uhr sagt Josefine: „Da steht ein Taxi, das wär doch was. Ich frag mal.“ Dieser Taxifahrer winkt ab, doch er kennt einen anderen, der das vielleicht macht. Nach ein paar Gesprächen entscheiden wir uns für diese verrückte Option. Um 21:55 sitzen wir im Taxi. 

„Ich probiere es mit euch, garantieren kann ich es nicht. Alle Impfpässe nach vorne, Buchungsnummer und nun seid ruhig.“ sind die Worte von Ali. Die erste Kontrolle verläuft ohne Probleme – hatte ich erwähnt, dass wir zwar ein Ticket für eine Autoüberfahrt hatten, aber nur für vier Personen (und nun waren wir zu fünft)? Der französische Beamte an der zweiten Kontrolle empfängt uns mit einer Entschuldigung, dass die Fähre sehr verspätet sei und wünscht uns eine gute Fahrt. Josefine spielt erneut ihr kommunikatives Talent aus: „Oh, I know what that feels like, I am also working in public transport …“ Und dann: “Have a nice trip, Lane 35 is yours”. 

Und weiter: Schritt für Schritt

Wir haben es tatsächlich geschafft, um 23:00 Uhr sind wir auf der Fähre und können es kaum glauben. Bei einer Runde Bier feiern wir diesen Meilenstein und recherchieren, wie es ab Dünkirchen weiter gehen kann. Fazit: da geht nix. Wir müssen irgendwie nach Brüssel kommen und von dort einen Zug oder Mietwagen nehmen. Das wird zäh. 30 Minuten bevor die Fähre anlegt, fragt Christian Ali „Hast du nicht Lust uns nach Hannover zu fahren – das ist das Geschäft der Woche für dich!“ Ali sagt nicht sofort nein, sondern zückt seinen Taschenrechner. Wir kalkulieren in unserer Reisegruppe, dass die Taxifahrt kaum mehr kosten wird als eine Zugfahrt 

Wir sind erst angekommen, wenn wir angekommen sind

Was folgt ist wohl die aufregendste Taxi- und Nachtfahrt: Denn Ali fährt einen Rechtslenker und kennt sich natürlich nicht so gut im Linksverkehr sowie mit „unseren“ Straßenschildern und -Regeln aus. Zudem ist es dunkel und leer auf den französischen, belgischen, niederländischen und deutschen Autobahnen. Und er hat den Tag zuvor gearbeitet, ist also auch müde. Er versichert uns, dass es mit regelmäßigen Pausen und ein wenig Kaffee gut gehen wird – schließlich ist er auch schon mal zwei Tage in den Iran von Dover durchgefahren. Das Angebot, eine längere Pause zu machen oder uns in der nächsten Stadt rauszulassen, lehnt er ab. Nach vielen kollektiven Schreckmomenten, Durchspielen diverser erneuter Szenarien und einer gemeinsamen Absicht, Ali wach und bei Laune zu halten und vor allen Dingen gesund anzukommen, vielen inneren Stoßgebeten (ja wirklich!), sind wir tatsächlich morgens um 9:30 Uhr gesund, übermüdet und überdreht und mega dankbar vor unserer Haustür angekommen. 

Learnings

Es wird sehr viel theoretisch über Teams, Zusammenarbeit und Führungsteams geschrieben. Dieser Rückreise war für meinen Mann und mich sehr eindrücklich, was der tatsächliche, direkt erlebbare Nutzen von einer Teamzusammenarbeit ist. All die Learnings sind direkt übertragbar auf die Frage „Alleine führen“ oder „zu zweit oder sogar zu dritt“?: 

  • Zu zweit wären wir nie so mutig gewesen und hätten uns auf den Weg gemacht. Und als Einzelperson schon gar nicht! –Führungsteams sind mutiger! 
  • Zu viert sind wir auf viel mehr Ideen und Lösungsansätze gekommen als alleine/zu zweit. Wir hatten schneller bessere Entscheidungen. Weil wir alle unterschiedliche Stärken und Wahrnehmungen hatten. Es war keine Leistung einer einzelnen Person, sondern eine Teamleistung und ein co-kreativer Prozess. – Führungsteams sind kreativer und betrachten in der Auseinandersetzung mit Themen unterschiedliche Sichtweisen. 
  • Wir konnten uns abwechseln als „Co-Pilot“, die anderen konnten sich in der Zeit ausruhen. Das hat Kraft gespart. Zugleich haben wir die Kosten durch vier geteilt. Alles in allem war es so ressourcenschonender und auch insgesamt angenehmer, gemeinsam verantwortlich zu sein. 
  • Zu viert und alle mit dem Ziel, über den Kanal zu kommen, egal wie – dieses gemeinsame Ziel und die spürbare Entschlossenheit, dass wir es alle wollen, hat uns als Gruppe enorm Kraft und Zuversicht gegeben. Wir hatten eine so starke Zugkraft und Haltung zu unserem Ziel, da konnte kein Taxifahrer nein sagen 😉 – Ein Führungsteam mit einer geschlossenen Haltung wird eine stärkere Zugkraft in die Organisation ausstrahlen und mehr Bewegung entwickeln als eine einzelne Person. 

Darüber hinaus erlebte ich direkt die Kernprinzipien der Theorie U als eine sehr wirksame Methodik von Veränderungsprozessen: 

  1. Beobachte, beobachte, beobachte und lass die Beobachtungen sacken – viel Zeit dazu hatten wir nicht: ein überforderter Flughafen, keine Unterstützung und Alternative, die uns angeboten wurde. 
  2. Wenn du eine Intuition hast, agiere sofort „act in an instant“ – den einen Menschen und das Taxi direkt ansprechen 
  3. Altes Loslassen bzw. alte Muster verlassen und Neues ausprobieren: alte Muster und klassische Methoden (Flugzeug, Bahn, Autovermietung) funktionierten ganz offensichtlich nicht. Doch mit dem so festem Ziel, irgendwie weiter zu kommen, hat sich die Wahrnehmung geweitet und auf einmal war ein Taxi eine Option. Die Wahrnehmung haben wir auf die Potentiale geschärft und nicht auf das, was nicht mehr funktioniert. 

Was denkst du über Führungsteams? Und wo siehst du aktuell positive Entwicklungen und Potentiale? 

2 Meinungen zu “Führung und Zusammenarbeit: Die Kraft eines Teams mit klarer Haltung – ein Erlebnisbericht 

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