Manchmal kündigt sie sich an. Oder sie ist alle paar Monate einfach da: Die Frage nach dem Sinn oder auch Sinnkrise. Es ist eine schwierige Beziehung. Wir streiten uns, wir versöhnen uns. Wir treffen uns mindestens einmal jährlich im Job, oder auch mal beim Laufen. Ich finde Sinnkrisen anstrengend. Vor kurzem saß ich mit einer Tasse Kaffee mit dem Sinn zusammen, wollte diesen Unbekannten besser kennenlernen: Was ist Sinn überhaupt und wozu ist es gut? Und ist es nicht total wichtig, einen Sinn zu haben – egal ob im Job oder überhaupt? Wie steht es um den Mythos Sinn bzw. neudeutsch „Purpose“?
Sinn – Werte – Bedeutung: Definitionen und Begriffe einordnen
Der Begriff Sinn ist schnell gesagt und oft genutzt. Auf der Suche nach einer griffigen Definition bin ich bisher nicht fündig geworden. Dabei ist die „Frage nach dem Sinn des Lebens … Ausdruck des Menschlichsten im Menschen.“ Meint Viktor Frankl. Mit der fehlenden Definition beginnt für mich das Dilemma: Ich suche etwas, was ich wohl nicht suchen kann, sondern was sich anscheinend nur auf dem Weg finden lässt. Sinn scheint etwas schwer Greifbares und dennoch sehr Wichtiges für uns zu sein. Immerhin sind die Menschen, die ihre Arbeit sinnvoll erleben, deutlich weniger erschöpft und gestresst:
Nach Viktor Frankl sind Werte die Hauptstraßen zum Sinn. Werte sind das, was uns wertvoll ist. Wenn wir also unsere Werte erfüllt ausleben, fühlt sich unser Tun sinnvoll an. Nun denken wir im Alltag ja nicht regelmäßig an unsere Werte. Pragmatischer und gut nachvollziehbar ist die Definition von Wolf Lotter. Für ihn bedeutet Sinn in der Arbeit „Der Wunsch, keine Arbeit zu machen, deren Ergebnis man nicht überschaut.“
Wir erleben Sinn im Job, wenn wir Ergebnisse produzieren, die wir einordnen können. Ich füge hinzu: Und wenn die Aufgaben und Ergebnisse gesehen und anerkannt fühlen. Wenn wir merken, dass wir eine Bedeutung für eine Beziehung oder ein System haben.
Das Problem der Purpose-Diskussion: persönlich und organisational
Dennoch: Mir gehen meine persönlichen Sinnkrisen auf die Nerven. Sie sind anstrengend. Manchmal glaube ich sogar, ich lenke mich dadurch prima ab. Lasse wichtige Aufgaben liegen und verstricke mich in mentalen Diskussionen statt einfach mal zu machen. Diesem Anteil reicht es überhaupt nicht, einen Fixstern bzw. eine grobe Richtung zu kennen. Doch nein, ein Anteil in mir möchte die Welt retten und einen unglaublich wichtigen „Purpose“ und Zweck haben. Es möchte den PERFEKTEN Sinn haben. Funktioniert – nicht. Zugleich ist es ein enormer Druck, der mich handlungsunfähig macht. Und im Alltagsgeschehen ist ein ausformulierter Purpose gefühlt viel zu weit weg.
Wie ist es in Organisationen? Sind die Menschen gesünder, weil die Organisation einen Zweck hat, der sich toll anhört? Oder entsteht mehr Wohlbefinden, wenn die Beziehungen „sinnvoller“, sprich wertschätzender sind? Überlege doch einmal für Dich selbst, was Dir wichtiger ist.
Sicherlich ist für Organisationen sehr wichtig, einen Fixstern bzw. eine grobe Richtung zu haben. Doch
„Dass so viel über Purpose, Sinn, Respekt, New Pay geredet wird – wobei es vorwiegend um moralische Gehälter geht – liegt daran, dass die Transformation deren materielle Grundlagen in Frage stellt. .. Vordergründig geht es um Sinn, hintergründig um die Existenz.“
schreibt Wolf Lotter in brandeins. Sehr treffend. So wird Sinnsuche instrumentalisiert. Paradox. Gleichzeitig fühle ich mich ertappt: Sinnkrisen beginnen bei mir, wenn ich meine Existenz vermeintlich, also nur im Kopfkino, in Gefahr sehe. Wenn ich das Gefühl habe, dass sich mein Einsatz nicht lohnt oder gelohnt hat.
Sinn und Bedeutung in den Basics finden
Einen sehr hilfreichen Ansatz hörte ich vor einem knappen Jahr von Anselm Grün in seinem Vortrag und Buch „Versäume nicht Dein Leben“. Er beschreibt, dass eine überhöhte Sinnsuche oder Spiritualität eine Flucht vor dem Leben ist. Vielmehr ginge es bei einem erfüllten Leben um die Kunst, den Alltag zu bewältigen und zu genießen. Sich den Anforderungen, Aufgaben zu stellen – trotz der Ängste. Akzeptieren, dass es auch mal unbequem ist und dass die alltäglichen Dinge dazugehören.
Mir hilft es sehr,
• wenn ich nicht mehr „Gott“ sein möchte.
• wenn ich mich von dem Sinn-Druck befreie und ins Tun komme.
• wenn ich mich frage, für wen ich und meine Arbeit eine Bedeutung habe.
• wenn ich anderen von meiner „Sinnkrise“ erzähle und um Unterstützung frage oder auch feststelle, dass ich damit nicht alleine bin.
Im Fehlzeitenreport 2018 finde ich noch folgende Definition, die den Zusammenhang zwischen den Dimensionen „Sinn“, „Werte“, „Beziehungen“ und „Basics“ und darstellt:
„Berufliche Sinnerfüllung ist vorhanden, wenn ein Mensch den Nutzen der eigenen Tätigkeit für andere wahrnimmt; wenn er oder sie sich als zugehörig zu Kollegen, Team oder Organisation erfährt und keine Widersprüche erlebt zwischen eigenen Fähigkeiten, Interessen und Werten und dem, was am Arbeitsplatz verlangt wird.“
Diese Definition zeigt dreierlei:
1. Sinn entfaltet am besten seine Wirkung, wenn es in konkreten Tätigkeiten übersetzt bzw. wiedergefunden werden kann.
2. Sinn ist menschlich und entsteht im Miteinander. Es ist weder abstrakt noch kognitiv, sondern emotional.
3. Sinn kann nicht von Außen gegeben werden. Sinn verlangt ein Einbringen der eigenen Persönlichkeit.
Fazit oder was wäre, wenn alles sinnlos ist?
Ich verstehe nun meine Sinnkrisen besser. Als Einzelunternehmerin fühle ich mich an einigen Tagen nicht zugehörig, sondern alleine. Eine andere Quelle ist sicherlich der manchmal gefühlte Widerspruch zwischen unternehmerischen/wirtschaftlichen Zielen und meinen Werten. Das ist nachvollziehbar und so kann ich mir meine Sinnkrisen erklären und finde sie schon gar nicht mehr so schlimm. Vielmehr interpretiere ich sie als ein Zeichen, mir meiner Werte und Entscheidungen bewusst zu werden. Um dann selbstverantwortlich zu entscheiden, was ich tue, lasse oder auch akzeptiere.
Was ich immer mehr verstehe: Sinn gehört zum Leben dazu. Sinnkrisen auch. Ich stelle mich einfach darauf ein und weiß mittlerweile: Es geht vorbei. Deshalb gebe ich ihnen auch nicht mehr allzu viel Bedeutung und erinnere mich an eine Stelle in einem meiner Lieblingslaufbücher „Die Philosophie des Laufens“. Denn nach Nietzsche gibt es keinen Sinn. Es sind wir Menschen, die den Dingen einen Sinn geben. Ansonsten ist alles kosmisch bedeutungslos. Die Lebenseinstellung „Amor Fati“ hilft. Das Leben mit all seinen Höhen und Tiefen, großen und kleinen Aufgaben annehmen statt dagegen ankämpfen. Sich von überhöhten Ansprüchen befreien und das Leben aus vollem Herzen leben. Ich finde das beruhigend.
In diesem Sinne wünsche ich Dir einen guten Lauf – persönlich und beruflich. Denk nicht zu viel nach. Lass uns das Leben mit vollem Herzen angehen – das ist wichtiger und wirksamer als jede schöne Purpose-Formulierung.
Alles Gute und hinterlasse mir gerne einen Kommentar oder teile den Artikel in Deinen Netzwerken. Vielen Dank!
Quellen:
• Wolf Lotter Leitartikel in brandeins 9/2019 Schwerpunkt Gehalt https://www.brandeins.de/magazine/brand-eins-wirtschaftsmagazin/2019/gehalt/gehalt-der-sinngehalt
• Grafik und Definition: Fehlzeitenreport 2018 Sinn erleben – Arbeit und Gesundheit, Kapitel 2 „Von Lebenssinn und Sinn der Arbeit“
• Austin/Reichenbach: Die Philosophie des Laufens, Kapitel „Langstreckenlauf und der Wille zur Macht“
* Foto privat