Vier Stunden brutzelte die Gans im Ofen. Darüber hinaus kochte die Soße und die Beilagen schon seit dem Nachmittag. Dann endlich servierten meine Freundin und ich den Festtagsbraten unseren Männern. Mein liebster Gatte probierte das Fleisch als erstes, verzog leicht das Gesicht und meinte „Naja, das ist ja eine so gerade 3-4, viel zu trocken!“ Wir Frauen waren empört und rechtfertigten uns. Ein paar Tage später dachte ich, dass in dieser kurzen Episode am Weihnachtstisch sehr viel zum Thema Feedback und innere Haltung drinsteckt.
Wir essen zwar nicht jeden Tag einen Gänsebraten, doch wir geben täglich Rückmeldungen an unsere Mitmenschen wie sie ihr Leben „kochen“. So finde ich, dass wir uns öfter das Bild des Gänsebratens vor Augen führen sollten. Denn:
1. Wir sehen nur einen kleinen Ausschnitt – nicht die gesamte Persönlichkeit
So wie unsere Ehemänner beim Gänseessen nur das fertige Ergebnis sahen und schmeckten, so sehen wir meist nur einen kleinen Ausschnitt von dem Verhalten einer Person bzw. ist für andere von uns meistens nur ein kleiner Teil unserer Persönlichkeit sichtbar.
Den gesamten Prozess und all das, was den Anderen oder uns komplett ausmacht (zum Beispiel all unsere Erfahrungen), ist nur selten bzw. sehr wenigen Menschen ersichtlich. Wir bewerten das, was wir mit unserer ganz speziellen Wahrnehmung sehen. Es hilft, wenn wir uns dessen als Feedback-Geber und -Nehmer bewusst sind.
So beschrieb ich meine Erfahrung vom Gänseessen im Rahmen eines strategischen Workshops, bei dem ich offen und ehrlich mein Feedback zu einem Thema geben sollte. „Ich sehe nur einen Teil, ich sehe nur die „fertige Gans“. Ich bin sicher, dass ihr sehr viel in das Thema investiert habt. Das ist für mich unsichtbar, meint jedoch nicht, dass ich es nicht würdige. Behaltet dies bitte im Hinterkopf, dass sich mein Feedback nur auf einen Ausschnitt bezieht.“
2. Feedback ist individuell und subjektiv
Die Bewertungsmaßstäbe sind individuell und beruhen auf subjektiven Erfahrungen. Ich weiß vielleicht noch, was eine 3-4 bei meinem Ehemann bedeutet, weil ich ihn sehr gut kenne mit seinen persönlichen Ansprüchen und vielen seinen Erfahrung dazu.
Viel schwieriger ist das bei fast unbekannten Personen. Zum Beispiel erhalte ich nach fast jedem Vortrag oder Workshop Feedback. Vor ein paar Jahren hatte ich noch den Anspruch, immer bestes Feedback von allen zu erhalten. Ich war mehr als irritiert, wenn es von einzelnen Teilnehmern nicht so gut war.
Heute weiß ich: Das ist in Ordnung. Ich weiß nicht, welche Erwartungen und Erfahrungen sie tatsächlich hatten und was für sie ein „gut“ genau meint. Doch ich weiß: Ich habe mein bestes gegeben. Geschmäcker sind unterschiedlich – bei der Gans, bei Weiterbildungen und bei der Zusammenarbeit.
3. Eine stabile innere Haltung stärkt
Die beiden ersten Impulse unterstützen uns dabei, eine stabile innere Haltung aufzubauen. Damit meine ich, dass wir konstruktiv und souverän Feedback geben und nehmen können. Wir ordnen die Rückmeldungen ein – statt sie übertrieben persönlich zu nehmen. Wir wissen, dass Fehler machen menschlich ist. Wir spüren, dass wir ein wertvoller Mensch sind – unabhängig von einem Feedback. Wir nehmen Feedback als Hinweise für unsere persönliche Weiterentwicklung – wenn wir es möchten.
So konnte ich das „Naja, nur eine 3-4“ gut nehmen. Die (zu) trockene Gans tat weder der Stimmung noch meinem Selbstwertgefühl weh. Ganz im Gegenteil. Und das nächste Mal habe ich daraus gelernt.
Und ansonsten können wir mit einer einfachen Frage den Blick auf das Gute wenden:
Was magst Du an der „Gans“ (dem Projekt, dem Ergebnis, …)?
In diesem Sinne wünsche ich Euch ein frohes Fest, mit oder ohne Gans!
Alles Liebe, Anke
Hier gibt es einen weiteren Artikel zu “Feedback“.
Fotos: Privat