Dieses Jahr möchte ich zuhören. Noch mehr, anders und tiefer als bisher. Circa einmal pro Monat werde ich über meine Erfahrungen, Learnings und auch das, was noch nicht gut klappt an dieser Stelle berichten. Ich möchte direkt aus meinem Erleben, aus meiner Erfahrung heraus erzählen statt über die Theorie des Zuhörens zu schreiben.
In diesem ersten Blogpost dazu erfährst du, wieso ich mich dem Thema nun verstärkt annehme, was die Auslöser waren, was meine ersten Schritte sowie erste Erfahrungen sind und welche vier Ebenen es beim Zuhören gibt.
Listening Journal 2021: Die Reise startet beim Ausmisten
Das Thema zuhören ist nicht neu. Tatsächlich ist es ein alter Hut. Doch seit ich mich mit Theorie U intensiver beschäftige, sehe ich diese Kompetenz in einem anderen Licht. Kurzgefasst beschreibt Theorie U, dass Veränderungsprozesse nicht linear von A nach B sondern durch einen U-Prozess laufen. Zuhören wird in diesem Kontext von Otto Scharmer, dem Mitentwickler der Theorie U, als Schlüsselkompetenz beschrieben.
Zuhören ermögliche vor allen Dingen, sich zu verbinden und Potentiale zu hören – sowohl bei sich selbst als auch bei anderen und mit dem Zukunftspotential. Um sie zu trainieren, empfiehlt Otto Scharmer ein „Listening Journal“ (ein Zuhör-Tagebuch) zu führen.
Also kaufte ich mir Anfang 2021 eine schöne Kladde. Denn ich liebe Kladden und ich mag es zu reflektieren. Mein Listening Journal lag 2021 in der Schublade. Beim Ausmisten finde ich sie wieder. Erwischt. Ich habe nur ab und zu mein Zuhören reflektiert. Es sind wenige. Die meisten Seiten sind leer. Ich ertappe mich bei dem Gedanken „War/ist mir zu langweilig, keine Lust. Zuhören kann ich doch eigentlich schon ganz gut.“
Zuhören aus unterschiedlichen Haltungen oder auch mit Herz, Kopf und Hand
Doch während ich meine Zuhör-Kladde 2021 so durchblättere, wird mein innerer blinder Fleck immer größer. Die drei verschiedenen Haltungen des Zuhörens kenne ich, und habe bereits darüber gebloggt und es auch in meinem aktuellen Buch “Führung it Haltung” mehrfach erwähnt – doch kann ich sie wirklich?
Nein. Sie sind mir noch ganz und gar nicht in Fleisch und Blut übergegangen. Und ich spüre genau das: Ich möchte dies nicht nur kennen, sondern immer mehr auch können. Oder mir mindestens meines Zuhörens noch bewusster werden. Wann höre ich zu und wann eher nicht?
Wie nutze ich die verschiedenen Formen des Zuhörens und wie erlebe ich das Zuhören in den unterschiedlichsten Kontexten – privat und beruflich? Hier noch einmal kurz und knapp die verschiedenen Ebenen und Qualitäten des Zuhörens:
1. „Downloading“: Es ist ein selektives, eher geschlossenes Zuhören. Ich höre nur das heraus, was mich in meiner Sichtweise bestätigt, was ich hören will. Sichtweisen oder auch Floskeln werden ausgetauscht. Die Menschen verbinden sich jedoch nicht. Es entsteht kein Dialog.
2. „Neugierig sein – mit dem Kopf hören“: Was höre ich sachlich und weitestgehend objektiv? Was macht mich neugierig, worüber möchte ich mehr erfahren?
3. „Mitfühlend sein – mit dem Herzen zuhören“: Wie fühlt es sich für mich an, wenn ich das höre? Was spüre ich körperlich und wie fühlt sich wohl die Person, der ich gerade zuhöre?
4. „Mutig sein – mit der Hand zuhören“: Wie entschlossen wirkt die Person bei einem Thema? Welches Zukunftspotential höre ich heraus, wo zieht es den Menschen hin?“
Otto Scharmer empfiehlt, jeden Tag zu reflektieren, auf welchen Ebenen man zugehört hat und wie die prozentuale Verteilung ist. Zudem soll man sich beobachten, wie man selbst die Ebene des Zuhörens wechselt und welche Veränderungen man dadurch im Gespräch wahrnimmt.
Zuhören 2022 – erste Erfahrung am Ess- und Schreibtisch
Meine Lernreise startet, indem ich mir eine neue Kladde kaufe. Sie hat zwei Seiten pro Woche und nicht wie in 2021 eine Seite pro Tag. Das entspannt mich. Ich fange direkt am 1. Januar 2022 an. Es geht direkt beim Frühstück los, als mein Mann und ich über einen Zeitungsartikel in der brandeins zum Thema Hochschulsysteme diskutieren. Mir fällt auf, wie ich direkt auf Contra gehe. Ich bin am „Downloaden“. Stopp. Bewusst halte ich innerlich an. Merke, dass ich eigentlich gar nicht genau verstehe, was er mit einem Begriff und einer Aussage meint. Ich frage nach, um es und um ihn besser zu verstehen. Mein Puls beruhigt sich und unser Gespräch auch. Mehr und mehr kommen wir in einen Dialog – nicht nur über Hochschulsysteme sondern auch über das System „Wirtschaft“, Globalisierung und und und. Am Ende fühlen wir uns beide gut und verstehen uns beide besser. Es ist die erste Listening Story in meinem Listening Journal.
Am 3. Januar 2022 nehme ich mir den Vormittag Zeit, um mir selbst zuzuhören und mich auf das neue Jahr als selbständige Unternehmerin einzustimmen:
1. Welches Feedback hat mir das Jahr 2021 gegeben?
2. Worauf bin ich dieses Jahr neugierig?
3. Welches Zukunftspotential spüre ich für dieses Jahr – sowohl bei mir als auch in meinen Kundenbeziehungen?
4. In welche grundsätzliche innere Richtung möchte ich mich dieses Jahr weiter entwickeln?
Mit der ersten Frage spüre ich nochmal abschließend in 2021 hinein. Wo habe ich Resonanz erfahren und wo weniger? Das ist spannend, bestärkend und ein guter Übergang für dieses Jahr. Es macht mir Spaß, meine Fühler und Ohren in die Zukunft auszustrecken. Und recht schnell kommen die Antworten und meine Ausrichtung steht.
Zuhören 2022 – Fazit nach den ersten drei Wochen
Morgens setze ich mich nun kurz hin und überlege, mit welchen Ebenen ich in meinen Meetings zuhören möchte. Um dann abends festzustellen, dass ich es die meiste Zeit vergessen habe. Ebenfalls fällt es mir sehr schwer, mein Zuhören auf Skalen und in Prozenten anzugeben.
Spannender finde ich zu reflektieren, wie sich Gespräche entwickelt haben, je nachdem wie ich zugehört habe. Bewusst die Ebene zu wechseln von einem automatischen „Oh ja, das kenne ich auch …“ oder „aha ..“ (ohne wirklich zuzuhören, weil ich innerlich woanders bin) hin zu nichts sagen, kurze Stille aushalten, nachfragen „wie meinst du das?“ oder „Was hast du für ein inneres Bild dazu, wie fühlt es sich für dich an?“ Auch wenn ich es oft vergesse, so ist mein Listening Journal eine tägliche Erinnerung ans Zuhören. Jeder Tag bietet so viele Chancen dazu!
Grundsätzlich fällt es mir leichter, im beruflichen Kontext mich an’s Zuhören zu erinnern als im Privaten. Vielleicht auch, weil Zuhören auf eine Art auch anstrengend ist? Doch ist es das wirklich? Ist es gut, immer zuzuhören oder braucht es manchmal auch einen zielgerichteten Dialog? Wo kämen wir hin, wenn sich alle besser zuhören? Fragen über Fragen, die bei mir entstehen und auch bei Menschen, mit denen ich mich zu meinem Vorhaben „Besser zuhören“ austauschen.
Welche Fragen beschäftigen Dich zum Thema Zuhören?
Quellen:
Anke von Platen: Führung mit Haltung (bei HAUFE erschienen)
Fotos und Skizze: privat