Ein paar Monate habe ich das Buch vor mir hergeschoben, weil ich nicht wusste, was mich so recht erwartet. Ich nehme bei mir selbst eine Ambivalenz gegenüber dem Schlagwort „Digital“ wahr: Einerseits bin ich schon jetzt (bevor die Digitalisierung erst so richtig in Schwung kommt) ziemlich genervt von dem Hype. Andererseits bin ich neugierig und offen für gute Übersichtsartikel – vor allen Dingen abseits des Technologischen. Und letzteres ist dieses Buch: Ein aus meiner Sicht umfassender Blick auf das Thema – für mich ohne künstliche Hysterie.
Christian Kucklick, Chefredakteur von GEO, betrachtet die Digitalisierung und die Auswirkungen kurzweilig und dennoch sehr fundiert auf unterschiedliche Einflussebenen: globale, gesellschaftliche, institutionelle, zwischenmenschliche und letztlich die individuelle Ebene. Mir kam beim Lesen sofort das anschauliche Zwiebelmodell in den Sinn (siehe Foto).
Was mir besonders gut gefallen hat: Die Entwicklungen werden dargestellt und Vergleiche zu anderen Entwicklungssprüngen werden gezogen. Der Rote Faden im Tenor: es geht um ein gutes Miteinander von Mensch und Maschine. Und ja: Durch die Digitalisierung werden Macht-Verhältnisse verändert: Macht zwischen Mensch und Maschine, Macht in Beziehungen zum Beispiel Arzt – Patient oder Mitarbeiter – Führungskraft und Macht der Institutionen. Ressourcenorientiert und mit Wortspielen stellt Kucklick dar, was die Herausforderungen sein werden, wie zum Beispiel „Überall Auflösung aber keine Lösung.“ (S. 175) Was nützen all die Daten, wenn wir gar nicht wissen, wozu wir sie sammeln und was wir mit ihnen machen wollen. So erscheint es nur logisch, Daten als eine weitere Ressource zu betrachten, die es clever zu managen gilt. Die Extreme vermeiden, neue Balancen ausprobieren und die Chancen der Digitalisierung nutzen: sowohl für uns selbst ganz persönlich (zum Beispiel im Erkennen von eigenen Rhythmen und Krankheitsbildern) als auch in Beziehung zu unseren Mitmenschen. Digitalisierung als Chance uns selbst besser zu verstehen, indem wir uns durch soziale Medien mit anderen verbinden (oder verbunden fühlen). Letztlich bringt uns die Digitalisierung an die alles entscheidende Frage nach dem Sinn: Was macht uns Menschen aus? Wozu sind wir gut? Wozu wollen wir noch gelobt werden, wenn uns Maschinen in Zukunft immer mehr abnehmen?
Für Menschen, die Checklisten und genaue Antworten suchen, ist dieses Buch nichts. Wenn Sie jedoch die digitale Entwicklung verstehen und einordnen möchten, dann werden Sie es genießen. Mein ganz persönliches Fazit nach der Lektüre und nach weiteren Denkschleifen auf diesem Thema: Digitalisierung ist ein Hype, weil sie schwer durchschaubau und verstehbar ist. Das ginge noch, doch die Beschleunigungsmöglichkeiten durch die Digitalisierung verschärfen die Unsicherheit. Letztlich haben wir immer Markt-, Produkt- und Kommunikationsentwicklungen gehabt – doch die Entwicklungszyklen waren länger.
Meines Erachtens zwingt uns die Digitalisierung mehr denn je, unsere Hausaufgaben zu machen – sowohl im Unternehmen als auch jeder für sich persönlich: Das Umfeld beobachten, eigene Stärken und Schwächen analysieren, Chancen und Risiken abgleichen, Schritte zur Weiterentwicklung definieren und umsetzen, die Mitmenschen mitnehmen, Beziehungen pflegen und vor allen Dingen sich Ziele setzen und klar haben, wozu ich da bin. Sinn als Kern der Ausrichtung und Entscheidungskriterium im Umgang mit Ressourcen und mit Daten. Dann macht Digitalisierung keine Angst, sondern Sinn.
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