Führung & Haltung: Ein Plädoyer für die neue Art der Führung

Werde ich als Führungskräfte überhaupt noch gebraucht? Was sind meine Aufgaben und Rollen? Ist die Führungskraft Coach, Manager oder was? Und überhaupt: Wie soll ich führen, wenn alles so unsicher ist und ich keine Antworten weiß? Das sind häufige Fragen meiner Kunden. Die Antworten: Es braucht mehr denn je Führung. Die Rolle der Führungskraft ändert sich. Führungskräfte benötigen eine neue Haltung. Wie diese aussehen kann beschreibe ich in diesem Blogpost.

Führung & Haltung: Ist und Soll

Auf dem Papier in den Organisationen sieht das Zielbild für Führung recht einfach aus, zum Beispiel

• Die Teamleiter sollen sich weniger um fachliche Details kümmern, sondern die Mitarbeitenden mehr inspirieren und entwickeln.

• Die Führungskräfte sollen interdisziplinärer und proaktiver agieren, selbstverantwortlicher sowie übergreifender denken statt sich in Silos abschotten.

Würde ich die Entwicklungen aus diesem Buch als Führungskraft sehen und hören, dass es vermutlich immer weniger Führung geben wird … ich hätte sehr viel Angst, ich wäre unsicher. Als Teamleiter hätte ich Bedenken, dass ich in ein paar Jahren nicht mehr in der Führungsrolle bin. Ich bin überflüssig. Das ist kein schöner Gedanke. Und zusammen gefasst hieße das: Es sind nicht nur die Mitarbeitenden ob der Zukunft verunsichert, sondern auch die Führenden. Das ist kontraproduktiv – und gleichzeitig so nachvollziehbar. Ganz klar, dass einige Führungskräfte das Gegenteil tun: nicht in die Veränderung gehen, sondern den eigenen Bestand sichern. Abwehrmechanismen etablieren, indem sie sich profilieren, sich wenig reinreden lassen.

Woher kommt die Angst und diese zum Teil massive Unsicherheit? Es wird zu wenig miteinander gesprochen, es gibt nur sehr selten einen Dialog über so wichtige Dinge in Organisationen über die Themen: 

  • Wie sieht wirklich unser Zukunftsbild aus?
  • Wie verstehen wir Führung jetzt und in Zukunft?
  • Was braucht die Organisation an Führung und 
  • Was benötigen die Mitarbeitenden an Führung?

Tagtäglich wird geführt, meist ohne eine Reflexion. Dafür fehlt die Zeit. Es findet selten ein Abgleich zwischen Leitenden und Mitarbeitenden, dem Team, statt. Die Menschen inklusive der Chefs bewegen sich zwar mehr auf das Neue zu und haben die Strategie fest im Blick. Doch das Inhaltliche und Prozessuale dominiert die Kommunikation. Es entsteht eine Art Scheinwelt. Das obere Management sagt, es wird alles agil und anders. Doch es gibt wenig bis keinen Austausch darüber, was sie unter Führung und Zusammenarbeit in Zukunft verstehen. Weil – … die Zeit dazu fehlt … So sind wir weiterhin mit alten Werkzeugen in einer neuen Welt unterwegs – kann das gut gehen? Ja. Muss aber nicht.

Allen düsteren Thesen zur Führung trotze ich. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir gerade jetzt in diesen dynamischen und zum Teil unsicheren Zeiten mehr denn je Führung benötigen. Wir müssen uns die Zeit nehmen, über Führung nachzudenken und uns auszutauschen. Wir müssen und die Zeit nehmen, als Führungskraft eine klare Haltung zum Thema Führung zu erarbeiten.

Darüber zu reflektieren. Fangen wir an mit den Kernfragen Wozu? Was? Und Wie?  auf das Thema Führung zu schauen.

Das Wozu der Führung: Komplexität reduzieren

Fangen wir mit der komplexesten Frage an. Wozu gibt es überhaupt Führung? Wozu brauchen Deine Mitarbeitenden Führung, wozu benötigst Du Führung? Was würde fehlen, gäbe es keine Geschäftsführung? Eine lohnenswerte Frage. Führung reduziert die Komplexität, indem Führungskräfte ein Zukunftsbild entwerfen und die vielen Themen und übergeordneten Entwicklungen im Blick haben. Der Mensch an sich hat ein Bedürfnis nach Führung. Dies dockt an das kognitive Bedürfnis nach Klarheit und Verstehbarkeit an. Zugleich steckt ein individuelles und kollektives Bedürfnis nach Sicherheit dahinter.

Der Mensch ist oftmals ängstlich und unsicher, er sehnt sich nach Orientierung, nach Leitplanken – er sehnt sich nach Führung. Werden wir geführt werde, haben wir eine Sorge weniger. Das persönliche Risiko reduziert sich. Es ist das Bedürfnis nach Sicherheit, welches sich dahinter verbirgt. Der Mensch an sich möchte das Richtige machen. Wenn jemand gesagt bekommt, wo es lang geht und was er oder sie zu tun hat, ist das Gefühl der Sicherheit höher. Die Verantwortung ist so eher bei dem, der führt, als bei der Person die geführt wird.

Führung ist des Weiteren dazu da, die übergeordneten Verbindungen zu schaffen: Zwischen dem Unternehmen und der Außenwelt. Ich sehe den Zweck von Führung, von der Geschäftsführung, den Chefetagen genau darin: Die Organisation in der Zukunft im Gesamtkontext zu verorten und zu entwickeln. Und dieses Bild wiederum für die Organisation zu übersetzen, für das gesamte Führungsteam und die Mitarbeitenden. Führungskräfte sind die Verbindung zwischen den hübschen Folien und Strategie auf dem Papier sowie der Realität im Alltag. Aufgabe und das Wozu der Führung ist, sich selbst mit der Strategie zu verbinden, sie zu verinnerlichen und aus einer klaren Haltung heraus die Mitarbeitenden dafür zu gewinnen. Das liest sich so logisch und einfach. Ich nehme jedoch eine andere Realität wahr.

Das Was der Führung: mit Beziehungen zum Ziel

Auf die Mitarbeiter einwirken, so dass die Unternehmensziele erreicht werden, ist die originäre Aufgabe einer Führungskraft. Führungskräfte werden dafür bezahlt, dass sich die Mitarbeitenden im Sinne der Organisationsziele bewegen bzw. sich auf das Neue zu bewegen und ihr gemeinsam das Ziel erreicht.

Das grundsätzliche Was der Führung verändert sich nicht.

Egal wo die Organisation und wo ein Team steht. Doch auf dem Weg von tradierten Arbeitswelten hin zu offeneren und vernetzten Strukturen entwickeln sich die Teilaufgaben weiter. Der Anteil der fachlichen Aufgaben in der Führungsposition nimmt ab. Die Bedeutung der sozialen und übergeordneten Aufgaben und Fähigkeiten nehmen zu, wie zum Beispiel:

  • Einen Gesamtüberblick über die Entwicklung des Teams im Kontext der Gesamtorganisation behalten.
  • Sich ein Bild von der entstehenden Zukunft machen und das Team darauf vorbereiten und dazu motivieren.
  • Darauf einwirken, dass sich das Team in diesem Kontext in die richtige Richtung bewegt – auf die Organisations- und Teamziele zu.
  • Ziele für das Team und die einzelnen Mitarbeitenden definieren und übersetzen, so dass die Ziele von den Menschen verstanden und eingeordnet werden können.
  • Rahmenbedingungen schaffen bzw. unterstützen, dass das Team an diesen Zielen arbeitet.

Diese Aufzählung verdeutlicht, dass Führung immer mehr bedeutet, übergeordnete Entwicklungen und Themen zu steuern. Es bedeutet weniger, sich in fachlichen Details gut auszukennen und fachliche Experten zu sein.

Fachliche Themen werden gemeinschaftlicher erarbeitet. Die Hauptführungsaufgabe ist die Stabilitätsbildung auf menschlicher Basis. Als Führungskraft wirst Du weniger für fachliche Aufgaben und Antworten bezahlt, sondern mehr für die Beziehungsarbeit.

Eine sehr passende und ergänzende Definition zu Führung findet sich bei Otto Scharmer. Grundsätzlich sind für ihn Führungskräfte alle Menschen, die Zukunft gestalten. In diesem Kontext definiert er Führung wie folgt:

„Die Fähigkeit eines Systems, seine Zukunft zu gestalten, d.h. sie »ankünftig« werden zu lassen. Die indoeuropäische Wurzel der Wörter »Leitung« und »Leadership« geht auf leith zurück und bedeutet »nach vorne gehen«, »über die Schwelle« oder »in ein neues Gebiet gehen« oder auch »sterben«. Diese Wortwurzel verweist darauf, dass die Erfahrung des Loslassens der alten Welt und des Eintauchens in eine neue Welt die innere Essenz jedes Führungsgeschehens ist. Es kann nur dann gelingen, wenn die Betreffenden den Mut aufbringen, den Fuß in ein vollkommen neues und bisher nicht bekanntes Territorium zu setzen.“

Ich mag diese Definition sehr, weil sie so gut ins Bild passt und die vielen Worte ergänzt. Führung bedeutet demnach, zuerst über die metaphorische Brücke über den Fluss der Unsicherheit zu gehen. Die Unsicherheit überbrücken, sich das Neue anzuschauen und dann wieder zurück zum Team zu gehen.

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Als Führungskraft bist Du gefordert, die Zukunft in die Gegenwart zu holen und dabei die Vergangenheit, nach und nach loszulassen. Erst bei Dir selbst. Dann zusammen mit dem Team.

Führung in Veränderungsprozessen bedeutet immer ein Loslassen. Und mit den oben skizzierten grundsätzlichen Entwicklungen sind Führungskräfte immer mehr gefordert, Sicherheiten loszulassen. Und wie Du damit umgehst, hat einen großen Einfluss auf Dein Team. Mit der Arbeit, wie Du mit Veränderungen und Unsicherheiten umgehst, bist Du ein Vorbild für das Team. Es geht darum, selbst den Mut zu finden, loszulassen und loszugehen und andere zu ermutigen, diesen Schritt ebenfalls zu tun. Wie kann das gehen?

Das Wie der Führung: menschlich statt mechanisch

Nun kommen wir der Sache näher, wieso und was genau sich bei Führung verändert. Es ist meines Erachtens hauptsächlich das Wie der Führung, welches im Umbruch ist. Führung bewegt sich zwischen den Polen eines sehr hierarchischen Führungsstils bis hin zu einem sehr beziehungsorientiertem, menschlichen Stil in eher selbstorganisierteren Arbeitskontexten. Dieser beziehungsorientierte, sehr menschliche Führungsstil ist stark an den psychischen Bedürfnissen nach Klarheit, Machbarkeit und Bedeutung ausgerichtet. Und es ist ein Führungsstil, der von innen führt, aus der inneren, psychischen und nicht sichtbaren Dimension des Individuums heraus. Das neue Wie der Führung ist gekennzeichnet durch authentische sowie natürliche Macht und weniger von einer autoritären sowie instrumentellen Macht. Die Führung wirkt mehr von innen, aus der psychischen Haltung heraus statt durch Prozesse, Checklisten und Skills.

Die neue Führung zeichnet sich durch mehr Menschlichkeit und weniger durch Mechanik aus.

Ist das nicht widersprüchlich? Also einerseits stark am anderen Menschen orientiert und zugleich von innen heraus? Nein. Denn je stärker eine Person in sich gefestigt ist, umso mehr kann sie sich auf eine andere Person komplett einlassen.

Sprich: je mehr Haltung und Halt eine Führungskraft in sich hat, umso besser wird sie anderen Halt geben können – egal was passiert. Stellen wir uns dies bildlich vor: Eine Führungskraft, die selbstsicher, aufrecht ein paar Schritte voraus ist … die aufrecht auf der Brücke geht und sich wenig am Geländer festhalten muss, diese Führungskraft hat die Hände mehr für Ihre Mitarbeitenden frei und kann ihnen mehr die Hand reichen und ihnen über die Brücke helfen.

So wirst Du als Führungskraft selbst zum Stabilitäts- und Haltefaktor für das Team, für die Menschen in der Organisation. So wirst Du zum Leuchtturm, auch wenn das Wetter stürmisch ist. Du gibst durch Dich selbst, durch Deine innere Haltung im besten Falle eine Beziehungssicherheit. Gerade in Veränderungsprozessen benötigen Menschen sehr viel Beziehungssicherheit. Wenn die Umgebungsbedingungen weniger kontrollierbar und vorhersehbar werden, sehnen sich die Menschen nach mehr Sicherheit in den Beziehungen, nach Menschen, die stabil und standfest sind. Menschen sehnen sich in unsicheren Zeiten nach Führung.

Was meinst Du? Ich freue mich über Kommentare und Feedback. Und natürlich auch, wenn Du den Artikel teilst oder daraus zitierst. Bitte gebe dann folgenden Hinweis: „Dieser Text stammt aus dem Blog von Anke von Platen – Leadership-Coach www.ankevonplaten.de/blog“ Vielen Dank!

Quellen:

  • Bild Leuchtturm: Pixabay
  • Skizze: Anke von Platen, aus „Lieben. Laufen. Leben.“
  • Definition Führung von Otto Scharmer, aus dem Glossar im Buch “Theorie U – Von der Zukunft her führen” 

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