„Sammeln Sie Punkte?“ fragt mich die Kassiererin. Ich schüttle den Kopf und verneine. Doch auf dem Heimweg denke ich: Wie viele Punkte sammeln wir eigentlich im echten Leben – innerlich, leise und unbemerkt?
In der Transaktionsanalyse spricht man in diesem Zusammenhang von Rabattmarken. Ein Thema, was ich ganz oft in Coachings und Workshops darstelle, wenn es darum geht, die Kommunikation zu verbessern oder Unstimmigkeiten anzusprechen. Gemeint sind all die kleinen Ärgernisse, Verletzungen oder Kränkungen, die wir im Alltag nicht aussprechen, sondern still „einkleben“: Eine unbedachte Bemerkung vom Partner. Die fehlende Rückmeldung von der Führungskraft. Der Kollege, der ständig zu spät kommt.
Ich erinnere mich an eines meiner ersten Coachings vor über 25 Jahren. Damals sagte mein Coach: „Anke, du sammelst Rabattmarken.“ Immer, wenn mir etwas nicht passte, habe ich es innerlich notiert – aber nicht angesprochen. Irgendwann war mein inneres Heft voll. Und dann bin ich geplatzt. Mein Gegenüber war völlig überrascht, denn all die „Marken“ hatte ich ja für mich behalten.
Rabattmarken entstehen aus unausgesprochenen Bedürfnissen und unausgetragenen Konflikten. Sie vergiften Beziehungen – in Partnerschaften genauso wie im beruflichen Kontext. Besonders in der Führung und Zusammenarbeit erlebe ich es oft: Mitarbeitende sammeln still mit, wenn ihnen nicht zugehört wird, mal wieder der Termin des Jahresgespräches verschoben wird, sie keine Rückmeldung zu einem Thema erhalten. Wenn es gut läuft, knallt es und es kommt es zu einem Konflikt. So wird dann endlich miteinander gesprochen. Doch oftmals passiert es nicht. Es kommt zum stillen Frust, zur leisen Explosion. Dann verlassen die Mitarbeitenden die Organisation (bzw. die Führungskraft!), weil es einfach zu viele Punkte waren.
Früh aussprechen, statt lange einkleben
Was also tun? Sich erst einmal bewusst sein, dass es das System der Rabattmarken gibt. Überlegen, wann du selbst dich ärgerst, es aber herunterschluckst und nichts sagst. Und bevor du die nächste Marke klebst, sei mutig und sprich es an. Natürlich gelingt es nicht immer, alles sofort anzusprechen. Aber je eher wir in einem guten Moment sagen: „Da war was, das hat mich irritiert.“ Oder „Ich merke, ich ärgere mich noch über etwas.“, desto weniger kleben wir innerlich an der Vergangenheit. Häufig mache ich die Erfahrung, dass die andere Person eine ganz andere Wahrnehmung hat. Das hilft dann uns beiden im gegenseitigen Verständnis. Und ich lerne mal wieder, dass es einfach immer individuell unterschiedliche Wahrnehmungen und Bewertungen gibt.
Zuhören kann Rabattmarken verhindern.
Im beruflichen Kontext bedeutet das auch: Regelmäßige, echte Gespräche. Raum geben für das, was unausgesprochen mitschwingt. Nicht nur über fachliche Themen, sondern auch über die Zusammenarbeit. Auch wenn es keinen standardisierten Prozess für Mitarbeiter- oder Feedback-Gespräche gibt, führe sie dennoch durch. Frage nach Feedback: Was findest du gut an unserer Zusammenarbeit, was geht besser? Und dann: zuhören, nicht gleich bewerten. Verstehen wollen. Und am Ende fragen „Was noch?“ Denn oftmals ist viel mehr im Kopf als wir sagen. Denn wir denken wir mehr als wir sagen. Mit dieser Frage gibst du die Gelegenheit für den Gegenüber, noch etwas Offenes, Nichtausgesprochenes auszusprechen.
Wirklich zuhören – nicht nur nicken und weitermachen – ist ein Schlüssel. Denn wenn Menschen sich gehört und ernst genommen fühlen, müssen sie nicht innerlich mitmeißeln, was alles nicht stimmt. Es entsteht Sicherheit. Und dann nach und nach Vertrauen, dass ich auch unstimmige Dinge ansprechen kann.
Wer zuhört, verhindert nicht nur Missverständnisse – sondern gibt anderen die Möglichkeit, sich zu zeigen, bevor sie explodieren.
Frage dich:
- Wann hast du das letzte Mal eine innere Rabattmarke geklebt – und was hätte dir helfen können, sie früher anzusprechen?
- Mit wem müsstest du unbedingt mal sprechen, weil du das Gefühl hast, da staut sich gerade etwas auf?