Gut zuhören: weniger Mimik, mehr Haltung

„Wie geht es dir damit, bewertungsfrei zuzuhören – auch im Gesicht möglichst neutral zu bleiben, kein Nicken, kein Stirnrunzeln, kein gar nichts?“, fragt mich Colin gestern, mein „Zuhör-Kollege“ aus London. Ich erzähle ihm vom Momo-Training. „Am Anfang war es komisch und ungewohnt. Doch insgesamt fällt es mir leicht.“ Colin überlegt: „Ich bräuchte viel Energie, um meine normalen Reaktionen zu unterdrücken. Ich weiß gar nicht, ob ich dann noch wirklich gut zuhören würde.“

Im Gespräch sage ich: „Es ist das eine, äußerlich bewertungsfrei zu wirken – also mit ruhiger Mimik. Doch das andere ist, was hinter meinem Gesicht passiert. Bin ich wirklich innerlich offen, präsent und vor allen Dingen innerlich bewertungsfrei? Höre ich wirklich zu – oder bin ich mit meinen Gedanken schon woanders?“

Die Person, der ich zuhöre, sieht nicht, was in mir vorgeht. Aber sie spürt es. So wie ich spüre, ob mir jemand wirklich zuhört statt nur zu hören, dass ich etwas sage. Die innere Haltung zählt mehr als das äußere Einhalten von Zuhör-Regeln.

Wie spüre ich meine innere Haltung beim Zuhören?
Sie zeigt sich darin, „Halt!“ zu sagen – zu äußeren und inneren Ablenkungen.
Ich sage Halt zu allem, was mich stört: Handy weg, Bildschirm aus. Schreibtisch aufgeräumt.
Und ich sage Halt zu Gedanken, die mich wegtragen wollen. Ich bemerke sie – und kehre zurück zum Zuhören. Ich sage „Halt!“ zum Drang, unterbrechen zu wollen. 

Darüber hinaus meint Haltung für mich auch, mit welcher Grundhaltung ich in ein Gespräch gehe – auf welchem Grund ich stehe. Bin ich grundsätzlich wertschätzend? Begegne ich dem anderen auf Augenhöhe – oder fühle ich mich innerlich „über“ oder „unter“ der Person? Wenn das Gleichgewicht nicht stimmt, wird es schwer, mich wirklich zu interessieren, mich sicher zu fühlen und zuzuhören.

Es ist eine neutrale, bewertungsfreie und zugleich wertschätzende Haltung, die beim Zuhören trägt. Dabei merke ich, wie schnell ich bewerte: nicht nur, was ich höre, sondern auch, was ich denke – über mich selbst und über andere. Unser Geist scheint dauernd zu sortieren: gut oder schlecht, richtig oder falsch – um schnell Orientierung zu gewinnen.

Doch es ist erstaunlich entspannend, diese Energie nicht in Bewertungen zu stecken, sondern in Präsenz. Zuhören wird dann leichter – und echter.

Und genau darin liegt eine Kraft, die weit über das persönliche Gespräch hinausreicht. Wer so zuhört, schafft Räume, in denen sich Menschen zeigen können – ohne sofort bewertet zu werden. Diese Art des Zuhörens kann in Teams, in Beziehungen, in jeder Zusammenarbeit einen Unterschied machen.

Gerade für Führungskräfte ist das eine wertvolle Übung: Vor einem Gespräch innerlich innezuhalten und sich zu sagen – „Ich bin hier, um zu verstehen, nicht um zu bewerten.“
Aus dieser Haltung entsteht Vertrauen – oft stärker als durch jedes Nicken oder jede bestätigende Geste. 

Wann lohnt es sich für dich als Führungskraft, bewusst mit einer offenen, bewertungsfreien Haltung in ein Gespräch zu gehen – und was könnte sich dadurch verändern?

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