Mehr Menschlichkeit in Organisationen: Demaskiert Euch!

Es ist ein Abend im November. Gerade habe ich meinem Mann meinen neuen Vortrag auf Video vorgespielt. Fast im Minutentakt hält er das Video an und gibt mir Feedback. Er ist mein ehrlichster Test-Zuhörer und Mentor. Es sind Kleinigkeiten, die er wohlwollend anmerkt. Nach fast drei Stunden Videoanalyse sagt er abschließend: „Anke, sei doch einfach Du selbst. Versuch nicht, etwas darzustellen. Und sag doch am Anfang, dass Du den Vortrag zum ersten Mal hältst.“  Was – Unsicherheit zeigen? Nein! Oder doch? Und wie ist das, im Job ich selbst zu sein? Darf ich das?

Anspruch zwischen Professionalität und Menschlichkeit

Das Problem war nicht, dass ich einen Vortrag zum ersten Mal hielt. Noch dazu, dass ich vor 40 Vertriebsmanagern, den angeblich kritischten Zuhörern, sprach. Es war umso mehr mein eigener Anspruch: Wenn ich einen Vortrag halte, dann muss es doch perfekt sein, absolut professionell, bloß keine Schwäche zeigen! Das Paradoxe: „Bleibt menschlich“ und „wendet Euch dem Menschen zu“ sollten meine Hauptbotschaften sein. Und deshalb entschied ich mich am Ende des Abends: Ja, ich werde meine Maske fallen lassen und mich als Mensch mit meiner Unsicherheit und meinen Gefühlen zeigen.

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Masken halten kostet Energie und vermeidet echten Kontakt

Am nächsten Tag war es soweit. Als ich vor das Publikum trat, setzte ich die Maske auf und erklärte, dass ich diese zu meiner eigenen Sicherheit trage. Hinter der Maske kann ich mich verstecken. Ich kann vorgeben, die Expertin zu sein und die Antworten zu wissen auf die Frage, wie genau das mit Führung nun in der agilen Welt funktioniert.

Und dann ließ ich sie fallen. Denn diese Maske tatsächlich zu halten, kostete mich Kraft. Ich konnte nicht so frei reden und sah nicht gut. Ich war sehr mit der Maske beschäftigt und konnte weniger gute echten Kontakt mit dem Publikum aufbauen.

Nachdem ich kurz von meiner Unsicherheit und Nervosität erzählte, legte ich befreit mit dem Vortrag los. Denn ich hatte mir selbst erlaubt, Fehler zu machen. Es lief hervorragend. Das Feedback zu der „Masken-Nummer“ als auch zu meinen Thesen hat mich sehr bestärkt und berührt. Die Gespräche im Nachgang waren sehr menschlich und echt – ohne Verkleidung.

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Vertrauen entsteht von Mensch zu Mensch

Lasse ich die Maske jetzt zuhause und sage immer, wie es mir geht? Nein. Ich habe meine Maske immer dabei. Ich entscheide sehr bewusst, wann ich sie tatsächlich bzw. innerlich aufsetze. Das hängt mit der Rolle zusammen, die ich in der Zusammenarbeit einnehme und wie gut ich mich fühle. Möchte ich mich schützen, setze ich sie auf. Möchte ich ermutigen, provozieren oder inspirieren, setze ich sie auf.

Was mir auffällt:

• Ich habe immer weniger Lust eine Fassade zu tragen.

• Ich kann und möchte mich nicht mehr verstecken und verstellen. Weder vor mir selbst, noch vor meinen Mitmenschen. Diese Energie möchte ich sparen und besser einsetzen.

Vertrauen kann ich leichter zu einem Menschen aufbauen als zu einer maskierten Person. Emotionen sehe ich nicht, wenn eine Fassade davor ist. Dabei gehe ich den ersten Schritt und zeige mich menschlich und natürlich.

• In Organisationen und in der Zusammenarbeit kommt erst so richtig Schwung in Veränderungen, wenn die Maske ab und zu zur Seite gelegt wird. Vor allem von der Führungskraft. Eine Führungskraft kann nicht immer die (perfekte) Antwort wissen. Auch sie sind Menschen mit Gefühlen wie Angst, Wut, Freude, Stolz und Neid. Zeigt sie diese, macht sie das nahbarer, berechenbarer, menschlicher.

• Und wenn Mitarbeitende sich in Meetings trauen und mutig sagen, wie es ihnen geht und was sie stört, bewegt das sehr viel mehr, als wenn es hinter der Maske nur gedacht und gefühlt wird. Eine „menschliche“ Führung bereitet dazu den Boden.

Menschlichkeit in Organisationen: die Gründe

Vielleicht fragst Du Dich nun: Wozu solltest Du Dich demaskieren? Denn es ist ja auch ein Risiko, sich verletzlich zu zeigen. Ich finde, der Joballtag ist anstrengend genug. Eine Fassade aufrecht erhalten, Emotionen unterdrücken kostet viel Energie. Das geht sicherlich eine Weile gut, doch spätestens wenn der Druck sehr hoch wird, zerfällt der Schein.

Oder was ich zur Zeit wieder häufiger beobachte: Viele sind wirklich stark belastet und chronisch erschöpft. Doch die wenigsten teilen dies mit und fordern eine andere Priorisierung ein. Die Folge: es kommen weitere Aufgaben hinzu. Denn rein „äußerlich“ ist ja alles gut. Bis dann irgendwann gar nichts mehr geht. Das ist extrem schade, sowohl für die Betroffenen als auch für das Team.

Des Weiteren ist es auch für die Organisation zielführender, wenn es „menschlicher“ zugeht. Wenn offener und direkter kommuniziert wird, werden Fehler und Verbesserungsmöglichkeiten schneller benannt und umgesetzt. Wenn Du beispielsweise offen sagst, was sich bei einem Projekt unstimmig anfühlt oder sogar riskant ist, ist das im ersten Moment unangenehm und erfordert Mut. Doch es ist doch besser, als wenn Du es in Dich hineinfrisst und das Projekt dann tatsächlich so läuft? Fehler- und Feedbackkultur, agiles Arbeiten – am Thema direktere Kommunikation werden wir immer weniger vorbeikommen.

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Mehr Menschlichkeit in Organisationen: Fünf Schritte

Was heißt das nun für Dich? Wie könnte das konkret im Joballtag aussehen? Es heißt, dass Du immer mal wieder die Maske absetzt, also nicht radikal und immer, sondern immer einmal wieder.

1. Fang zu Hause damit an. Dort bist Du in einem geschützten Rahmen. Wenn Du nach Hause kommst, zieh Dich um. Wasche Dein Gesicht. Wasche Dein „Make-Up“ ab. Übe Dich Deinem Partner, Partnerin, Deinen liebsten Mitmenschen, offen mitzuteilen, wie es Dir wirklich geht, was Dir durch den Kopf geht. Der allgegenwärtige Slogan „alles gut“ zählt nicht.

2. Ich bin sicher, dass Du aus deinem Joballtag Situationen kennst, in denen Du unsicher bist, Angst hast, nicht weiter weißt. Erlaube Dir innerlich, dass Du unsicher sein darfst. Nimm Dir ein Herz und sage einmal in so einer Situation „Ich merke, wie nervös ich gerade bin und hoffe, es wird gleich besser und ihr habt Verständnis“

3. Du hast einen Fehler gemacht? Gib ihn zu.

4. Du hast einen schlechten Tag? Dann sag es Deinem Umfeld. Du musst nicht – kannst aber – begründen wieso.

5. Sei mutig in Meetings! Verstecke Dich nicht hinter der Maske. Frage, wenn etwas unklar ist. Lass Ärger raus, wenn der Magen grummelt, benenne Dinge, anstatt weichgespült drumherum zu reden. Und zeige auch Freude, Respekt und Anerkennung, wenn es gut läuft!

Wage es!

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Inspirationsquellen und Literatur zur Vertiefung:

• brandeins Artikel „Warum sachlich, wenn es auch persönlich geht“ Ausgabe 4/2019: Ein sehr guter Artikel über das Spannungsfeld zwischen Mensch und Organisation

• Frederic Laloux „Reinventing Organizations“: Laloux beschreibt freiwerdende Potentiale, wenn wir in Unternehmen unsere Masken fallen lassen und ganz wir selbst sind.

• Frits B. Simon „Einführung in die systemtische Organisationstheorie“: Auf Seite 41 beschreibt Simon die Kopplung zwischen Personen und Rollen in Organisationen. Die „Maske“ repräsentiert die Verbindung zwischen einer Person und seiner Rolle – ursprünglich im Schauspiel. Im systemischen Denken spielt der ganze Mensch für die Organisation keine Rolle. Im System Organisation kommt es ‚nur’ auf die Kommunikation der Person an. Eine verbesserte Kommunikation ist auch mit einer teilweisen Auflösung der Masken möglich – das ist mein Fazit.  

Bildquellen: Privat und ohne Maske im Homeoffice … Postkarte von Inkognito

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