Es beginnt der fünfte Monat meines Selbstexperiments 2022: eine bessere Zuhörerin werden. Ganz ehrlich: mein Listening Journal hat viele leere Stellen im April. Ich habe es schleifen lassen. Ich habe mich nicht strukturiert und konsequent mit dem Thema auseinander gesetzt. So ist mein schnelles Fazit. Bei genauerer Betrachtung stimmt das überhaupt nicht. Der eigene Ehrgeiz, die eigene Erwartung an mich selbst sind mal wieder sehr hoch. Und mir ist beim Schreiben dieses Blogposts klar geworden, dass Ehrgeiz dem Zuhören im Wege steht. In diesem Post beschreibe ich sehr offen meine drei wichtigsten Learnings, vielleicht sind diese ja für dich inspirierend?
1. In einer fremden Sprache höre ich anders zu
Führe ich Workshops oder Coachings in Englisch durch, beobachte ich mich, dass ich automatisch aufmerksamer zuhöre. Ich konzentriere mich anders auf das Gesagte, die Körpersprache. Ich spiegel öfter und fasse das von mir Gehörte zusammen. Das hat oftmals dazu geführt, dass Missverständnisse vermieden wurden. Ich hatte schlicht etwas anders verstanden. Nun ist Englisch offensichtlich eine Fremdsprache. Doch sprechen wir nicht alle eine andere Sprache, weil wir Wörtern nur sehr selten die gleiche Bedeutung und Aufmerksamkeit geben? Was wäre möglich, wenn ich mehr Menschen so zuhören würde, als ob sie eine fremde Sprache sprechen?
2. Innerlich offen und gelassen sein ist wichtig – oder mal wieder die Relevanz der inneren Haltung
„Der Rosenthal-Effekt besagt, dass das Verhalten anderer Menschen durch die eigenen Erwartungen und dem daraus resultierenden eigenen Verhalten gesteuert werden kann.“* Sprich: es macht einen riesigen Unterschied, mit welcher inneren Haltung ich in Bezug zu meinem Gesprächspartner ich in ein Gespräch gehe. Bin ich innerlich verbohrt, verschlossen oder auch genervt durch die bisherigen Gespräche und glaube dadurch nicht an die Person, wird das Gespräch sehr wahrscheinlich kein gutes Gespräch, geschweige denn ein Dialog.
Ich bin auf dem Weg, mich möglichst frei von eigenen oder fremden Vorurteilen, Ansprüchen und Erwartungen gegenüber der Person zu machen. Und statt dessen mit einer neugierigen Leere in Gespräche zu gehen. Neugierig auf den Menschen, seine und unseren gemeinsamen Potentiale in der Beziehung zu sein. Dies hat mehrfach dazu geführt, dass Gespräche entspannter als auch wertschätzender und produktiver waren (als ich es ohne diese Haltung vermutet hätte).
Wichtiger Aspekt dabei: ohne Erwartungen in ein Gespräch hineingehen heißt nicht, ohne Ziel zu sein. Natürlich gibt es Gesprächsziele. Ich würde dies für mich jedoch als Intention beschreiben. Das empfinde ich offener und flexibler als ein Ziel.
3. Wie ich mir selbst zuhöre – dieses Learning ist was für ehrgeizige Menschen
Zuhören wird oftmals im Kontext von Gesprächen mit anderen betrachtet. Eine spannende weitere Perspektive ist, wie höre ich mir eigentlich zu? Welche inneren Stimmen gibt es und welcher schenke ich erhöhte Aufmerksamkeit? Das ist wirklich eine schöne Übung im Alltag oder in besonderen Situationen. Ich erlebe meine innere Stimme sehr gut beim Laufen, insbesondere beim Marathon oder im Alltag, wenn ich vor einer Herausforderung stehe. Im Marathon kommt meistens irgendwann der Punkt, wo es weh tut und wo der Körper nicht mehr möchte. Und auch im Alltag gibt es diese Situationen, wenn ich keine Lust habe, ein Thema anstrengend finde, oder oder oder. Und dann spricht sie besonders laut: die innere Stimme, die was zu meckern hat und einfach nur negativ und mimimi ist. Die stehen bleiben will. Interessant und lehrreich finde ich es dann, mir genauso mit einer neugierigen Leere zuzuhören und insbesondere der bisher noch leisen Stimme ein noch größeres Ohr zu schenken. Denn diese Stimme sagt zum Beispiel: „Du machst das gut! Es ist normal, dass es blöd ist, denn du bist außerhalb deiner Komfortzone. Sieh mal, was du alles schon geschafft hast!“
Das ist sehr ungewohnt und ich merke, wie mich erneut der Ehrgeiz packt, nun besonders gut der positiven inneren Stimme zuzuhören oder besonders offen und leer zuzuhören. Mal schauen, wie es sich weiter entwickelt. Letztlich fühlt es sich immer mehr so an, als ob zuhören mit loslassen zusammen hängt. Loslassen von der Illusion, ein Gespräch kontrollieren zu können – sagt zumindest die eine innere Stimme. Höre ich der anderen Stimme zu, freut sich diese auf das Loslassen. Das macht die Hände frei!
Welche Erfahrungen machst du gerade beim Zuhören? Was beschäftigt dich bei diesem Thema?
*Quelle: mein aktuelles Buch „Führung mit Haltung: Mit Herz, Kopf und Hand Zusammenarbeit erfolgreich gestalten“, S. 93
Quelle Bild: privat, Fotografie einer Postkarte von der üstra Hannover